
AUSSTELLUNG: Fotografien von Nicole Woischwill & Marc Zenner
»ATME!«
Die Arbeiten, die Nicole Woischwill und Marc Zenner im Monat der Fotografie im Off-Programm zeigen, entstanden, als die Welt noch nichts von jenem Krankheitsbild wusste, das jetzt unseren Atem anhält. Doch schon vor Corona fordern beide: »ATME! «– denn ihren Fotografien liegt das Bedürfnis der Jetzt-Zeit zu Grunde, nämlich TROTZDEM! Atem zu holen.

Wie eine Erlösung von allem Bösen wirkt die schwarze Rolltreppenfahrt, die Marc Zenner am Potsdamer Platz aufgenommen hat; hinaufgestiegen in den Himmel aus der Hölle der Untersicht. Zenners extreme Ansichten in den Serien URBANE EINFACHHEIT, STRASSENFOTOGRAFIE, STADT-LICHT-SCHATTEN, die harten Diagonalen, Blickwinkel und Schlagschatten geben sowohl dem Stadtraum fotogene Fassungen als auch den Menschen, die zufällig und immer irgendwie dekorativ darin agieren. Zenners Bildsprache und Motive gleichen den Szenen aus Expressionismus und Film noir. Sie sind vom Zufall und einem genauen Blick arrangiert und ins postpostmoderne, digitale Zeitalter überführt. Wie zum Beispiel der Schattenwurf des Irokesen-Scherenschnitts einer Gruppe von Punks auf Stufen aus grauem Beton.
Farbe gibt ebenfalls den Ton an, wenn Zenner nach draußen geht. Hervorstechend ist das Atemblau des erwähnten Rolltreppenmotivs, das die dunkle Stickigkeit der Unterwelt ins Überirdische öffnet. In einem anderen Bild, scheinbar gerade vorher entstanden, rahmt das saturierte Gelb der abfahrenden U-Bahn den Schriftzug STADTMITTE so entscheidend momenthaft ein, als ob der Fotograf bei der Aufnahme den Atem angehalten hätte.
Wo Zenners Aufnahmen im Draußen stattfinden, taucht Nicole Woischwill in die Wasseratmung ab. Ihre Serie VOM EIGENSINN DER LEISEN DINGE wendet sich konsequent nach Innen und nimmt dem Betrachter jegliches Zeitgefühl. Das wird noch dadurch betont, dass Woischwill ausschließlich analog fotografiert. Alles fließt, die Licht und Schattentänze von Wassergetier sind eine einzige Atembewegung, ihre sinnlichen Graustufen eine stille Hingabe an das Leben. Alle Objekte wirken eigentümlich museal: Ein Polarbär blickt, aus Untersicht aufgenommen, ins Scheinwerferlicht seines eigenen Todes. Zwar hat er dabei etwas Freundliches, fast Verspieltes, so wie er hier arrangiert ist, aber der Begegnung mit dem Taxidermischen liegt eine verstörende Motivursache zu Grunde, die allen somnambulen Exponaten gemein ist: Auslöser der Serie war laut Woischwill 2015 der Terroranschlag im Pariser Bataclan. Auf Woischwill fluteten zu diesem Zeitpunkt besonders beruflich bedingt immer neue Bilder aus der grausamen Wirklichkeit ein. Allzu greifbar lieferte der Schwall der objektiven Bilder der Nachrichtenagentur Beweis um Beweis, was Menschen einander antun können.
Gewalt, Tod rauben den Atem, die eigene künstlerische Arbeit, der Rückzug ins Museum, ist bei Woischwill ein Reflex. Die Nabelschnur zur Dringlichkeit der äußeren Welt reißt in ihren Arbeiten dennoch nicht ab. Vielmehr schaffen sie einen ganz eigenwilligen Raum für ein visuelles Durchatmen.
Der Kontrast von Innen und außen, aber auch die Verbindung von beidem, die in der Friedrichshagener Ausstellung durch die Linsen von Marc Zenner und Nicole Woischwill entsteht, verdeutlichen in ihrer Zusammenschau so, was Atme! aus fotografischer Sicht bedeutet: nämlich ein Innehalten mit den Augen.
Text: Dr. Melanie Stumpf
Ausstellung 11.10. – 21.11.2020
+++Auf Grund der aktuellen Corona-Verordnung sind ab 2.11. keine öffentlichen Besichtigungstermine mehr möglich +++
Öffnungszeiten: Di, Sa, So 14-18 Uhr
Vernissage: Samstag, 10. Oktober 2020 um 16 Uhr
Einführung Dr. Melanie Stumpf (Kulturwissenschaftlerin) | Musik: Jaspar Libuda (Kontrabass Solo)
Finissage: Samstag, 21. November 2020 um 16.00 Uhr
+++wird derzeit als online-Veranstaltung geplant, Details in Kürze+++
Frank Silberbach (Fotograf) im Gespräch mit Nicole Woischwill und Marc Zenner
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Coronabedingte Hinweise:
– Die AHA-Regeln sind einzuhalten (Abstand, Hygiene, Alltagsmasken)
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* Für mobilitätseingeschränkte Mitbürger: Alle Ebenen des historischen Rathauses sind barrierefrei mit einem Aufzug erreichbar. Zugang über den neuen Haupteingang – ehem. Toreinfahrt.
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